So sehen die Deutschen Videospiele

So sehen die Deutschen Videospiele

Computerspiele sind Teil der Alltagskultur in Deutschland. Das sagen jedenfalls 59 Prozent der Befragten einer aktuellen – in Zusammenarbeit mit Statista entstandenen – YouGov-Umfrage. Demnach zocken zwei Drittel der Deutschen (ab 18 Jahren) Videospiele, 17 Prozent sogar täglich. Aber Gaming ist mehr als eine nette Freizeitbeschäftigung. Auch zur Vermittlung von Bildungsinhalten (58 Prozent) und zum Frustabbau (47 Prozent) können Computerspiele nach Meinung vieler Befragter dienen. Auf Basis des YouGov Omnibus wurden 1029 Personen (darunter 673 Gamer) im Zeitraum vom 16. bis 17. August 2016 repräsentativ befragt.

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Angefangen hatte alles mit der In-Game-Werbung

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Unter In-Game-Werbung (engl. in game: ‚im Spiel‘) oder auch In-Game-Advertising ist die Einblendung von Werbebotschaften in Computerspielen zu verstehen. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen:

  • Unter statischem In-Game Advertising (SIGA) versteht man fest (und bereits während der Spieleentwicklung) in das Spiel verbaute werbliche Handlungsstränge und visuelle Marken-/Produktdarstellungen, was dem Grundgedanken der Produktplatzierung entspricht. In das Spiel integrierte Produkte und Marken verbleiben für die gesamte Lebensdauer Bestandteil des Spiels.
  • Unter dynamischem In-Game Advertising (DIGA) versteht man die geo- und zeitcodierte Schaltung von Werbemitteln in TCP/IP konnektierten Spielen (Rückkanal) auf Basis eines Mediabudgets. Werbebotschaften werden dynamisch in das Spiel hinein und aus dem Spiel heraus geschaltet. Das Spiel fungiert dabei als Sender und wird temporär mit Werbeeinblendungen versorgt.
  • Unter Ad-Games versteht man Spiele, die speziell und im Auftrag eines Markenartiklers entwickelt wurden und deren primäres Ziel es ist, die Marken des beauftragenden Unternehmens in den Blick der Spieler zu rücken.

In der schnell wachsenden In-Game-Advertising-Branche werden zahlreiche weitere Namen für die eben beschriebenen Kategorien verwendet. Obige Einordnung ist jedoch mittlerweile international gängiges Branchenvokabular.

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Nutzen für die Politik

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Genau so wie man eine Marke in den Blick der Spieler setzen kann, kann man auch politische Richtungen und ganz einfach nur subtile politische Aspekte mit in die Spiele einbaut, die im Nachhinein für die Bildung der Meinung notwendig sind.

In den USA ist der Nutzen von „Ballerspielen“, bzw. „Echtzeitstrategie-Spielen“ eine Art der Vorbereitung und Werbung junger Menschen zum Dienst an der Waffe. Der Schock kommt dann im Irak wenn der Kamerad neben einem mit einem Kopfschuss umfällt und es keinerlei Resetknopf zu finden gibt um ihn wieder ins Spiel zu bringen. Dann aber spätestens realisiert ein Mensch, dass er die Realität entdeckt und sein Leben bis dahin in den weiten der virtuellen Realität gelebt hatte.

Viele Medien spielen hierbei eine gewaltige Rolle und sich gegenseitig zu. Das eine Medium baut auf dem nächsten auf. Die Hemmschwelle wird herabgesetzt, damit man sich nicht mehr vor einer Katastrophe fürchtet. Nein, man erwartet sie schon förmlich und meint, dank der ausgeklügelten Strategie des Spiels sehr gute Überlebenschancen zu besitzen.

Die meisten Echtzeitstrategie-Spiele sind mittlerweile nur noch online zu spielen. CIA und NSA in den USA, aber auch BND und MAD in Deutschland wissen über alle Spielerprofile, IP-Adressen, Gewohnheiten, Name, Adresse und was für Videos sie auf YouTube oder Pornoseiten schauen bescheid und speichern diese Daten ab. Weiterhin wird auch die politische Gesinnung, Kontakte und veröffentliche Meinungen überprüft und ggf. auch gelenkt!

So viele Informationen und so viele Möglichkeiten den Menschen zu überwachen und ihn zu manipulieren, hatte noch nicht einmal die Stasi in der DDR gehabt. Und das alles freiwillig und ohne Gegenwehr!

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Inhaltliche Ausrichtung von Online-Rollenspielen

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Bei dieser Form werden Videospiele inhaltlich an der zu vermittelnden Botschaft ausgerichtet. Diese Form findet hauptsächlich ihre Anwendung, wenn suggestiv bestimmte Standpunkte zu vermitteln versucht werden und der Meinungsbildung dienen. Sie sind gestaltet wie übliche, rein der Unterhaltung dienenden Videospiele. Die Teilnehmer nehmen für begrenzte Zeit spielgemäße fiktive Denk- und Handlungsmuster ein und können diese in der von ihnen mitgestalteten Spielwelt ausleben, um so weiter in das Spiel vorzudringen. Inhaltlich können diese Spiele neben der kommerziellen Ausrichtung auch politisch, religiös oder soziologisch motiviert sein. Ein positives Beispiel für ein Spiel mit soziologisch erzieherischer Funktion ist Luka, welches sich an Kinder im Alter von 8 bis 10 Jahren wendet und sie spielerisch dazu befähigen soll, Konflikte ohne Einsatz sprachlicher oder körperlicher Gewalt zu lösen.

Aber genau so gut kann man auch Spieler zu mehr Gewaltbereitschaft und einer bestimmten politischen, oder religiösen Richtung motivieren. Wenn brisante Zeiten auf einen Staat zukommen und man wie diese Tage geschehen schon zu Lebensmittelvorräten aufruft, sind diese „Ballerspiele“ neben den gängigen Medien ein willkommenes Mittel zur Vorbereitung der Menschen.

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Suchtfaktor Videospiele

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Die Organisation „Aktiv gegen Mediensucht“ veröffentlichte seine Forschungsergebnisse:

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· Computerspielsucht ist bereits eine ernst zu nehmende Volkskrankheit: „Eine noch weiter reichende allgegenwärtige Präsenz von Computern und Internet, gerade auch die in den Kinderzimmern, hat vermutlich zu einer Verschärfung der Problematik geführt. Die bisherigen Zahlen können allerdings schon belegen, dass ein exzessiver Internetkonsum durchaus ein gesellschaftsrelevantes Problem darstellt und eine epidemische Dimension annimmt.“

· Die Gefahr von Computerspielen süchtig zu werden, darf man nicht unterschätzen: „Auch wenn die Ergebnisse der bisherigen Studien nahelegen, dass ein psychisch gesunder Erwachsener nicht vom Internet und seinen Derivaten de novo abhängig wird, so kann hier in diesem Sinne keine Entwarnung gegeben werden. Angesichts der suggestiven und interaktiven Kraft der neuen digitalen Medien, insbesondere der von Online-Spielen und -Parallelwelten, ist nicht auszuschließen, dass Menschen mit subklinischen psychiatrischen Syndromen, vor allem aber auch Kinder und Jugendliche, abhängig gemacht werden können und psychisch erkranken.“

„Die Ergebnisse der neuesten Untersuchungen sprechen dafür, dass Online-Rollenspiele das größte Abhängigkeitspotential bergen. Dies liegt daran, dass die Spieleentwickler dafür sorgen, dass sie zu ihren Nutzern über zum Teil perfide Methoden eine intensive Bindung aufbauen und in ein weit gespanntes Beziehungsnetz mit anderen Nutzern einflechten. Außerdem bieten sie ihren Nutzern einen alternativen Lebensraum, in dem sie scheinbar alles sein und tun können, was ihnen in der konkret-realen Welt nicht möglich ist. Jederzeit in eine Phantasiewelt entschwinden und dort immer wieder eine andere Identität annehmen und neue Beziehungen aufnehmen zu können, dies macht die besondere Verführungskraft der digitalen Paralleluniversen aus. Ihnen zu verfallen, von ihnen abhängig zu werden, scheint nicht allein das Schicksal von vorgängig psychisch Kranken zu sein, auch wenn die bisherigen Untersuchungen dafür sprechen mögen.“ [Herv. d. Verf.]

· Es sind besondere Anstrengungen zur Vermeidung von Computerspielabhängigkeit notwendig: „Neben einer engagierten Psychiatrie für Erwachsene, Jugendliche und Kinder bedarf es deshalb auch einer kritischen Medienpädagogik, die über die Vermittlung von so genannter Medienkompetenz hinaus Konzepte für eine Prävention von Internet und Computerspielabhängigkeit entwickelt. Die Überlegungen machen anschaulich, wie sehr das Phänomen der Internetabhängigkeit eine Kollaboration verschiedener medienwissenschaftlicher Disziplinen notwendig macht.“ 
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Auflistung der Dokumente und Links zu den Dokumenten:

(1) Bert Theodor te Wildt,
Die Frage, ob Menschen von Medien in einem pathologischen Sinne abhängig werden können, hat durch die Entwicklung des Internets und seiner Derivate an Aktualität gewonnen. : internetabhaengikeit01.pdf

(2) Bert Theodor te Wildt, Stand der Forschung zum Phänomen der Internetabhängigkeit
Die Erstbeschreibung des Phänomens der Internetabhängigkeit war von dem New Yorker Psychiater Ivan Goldberg im Jahre 1995 zunächst ironisch gemeint.: internetabhaengikeit02.pdf

(3) Bert Theodor te Wildt, Symptomatik und Diagnostik der Internetabhängigkeit
Wenngleich die phänomenologische Einordnung nach wie vor unklar ist, so scheint unter den bisher an der Erforschung beteiligten Wissenschaftlern weitgehende Einigkeit darin zu bestehen…: internetabhaengikeit03.pdf

(4) Bert Theodor te Wildt, Epidemiologie der Internetabhängigkeit
Da die Instrumente zur Untersuchung von Internetabhängigkeit bisher nicht wirklich dafür validiert sind…: internetabhaengikeit04.pdf

(5) Bert Theodor te Wildt, Internetabhängigkeit und Komorbidität
Ähnlich wie bei stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen ist es auch bei der nicht-stoffgebundenen Internetabhängigkeit sinnvoll, auftretende komorbide Störungen aus zwei Blickwinkeln zu betrachten. :internetabhaengikeit05.pdf

(6) Bert Theodor te Wildt, Eigene Studien zur diagnostischen Einordnung des Phänomens Internetabhängigkeit
Eine eigene Untersuchung zur phänomenologischen und diagnostischen Einordnung von Internetabhängigkeit setzte sich aus einer Hauptstudie und drei Zusatzstudien zusammen.: internetabhaengikeit06.pdf

(7) Bert Theodor te Wildt, Erklärungsansätze für das Phänomen Internetabhängigkeit
Phänomenologisch spricht einiges dafür, dass die neuen digitalen Medien angesichts ihrer ubiquitären Verfügbarkeit und ihrer scheinbar grenzenlosen Interaktivität eine für Medien neuartige Dimension der Beziehung zu ihrem Konsumenten ausbilden, die eine Abhängigkeitsentwicklung befördern können : internetabhaengikeit07.pdf

(8) Bert Theodor te Wildt, Nosologie des Phänomens Internetabhängigkeit
Aus psychiatrischer Sicht gibt es prinzipiell drei Möglichkeiten, das klinische Phänomen der Internetabhängigkeit diagnostisch einzuordnen.: internetabhaengikeit08.pdf

(9) Bert Theodor te Wildt, Therapie und Prävention von Internetabhängigkeit
Da die zuvor vorgestellten Ansätze zur Erklärung und Einordnung von Internetabhängigkeit noch relativ weit von einer abschließenden wissenschaftlichen Fundierung entfernt sind, können bisher keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen gegeben werden. : internetabhaengikeit09.pdf

(10) Bert Theodor te Wildt, Literatur,
internetabhaengikeit10.pdf

(11) Dorothee Mücken et al., Positionspapier Diagnostik von Computerspielabhängigkeit, Positionspapier_Diagnostik.pdf

(12) Dorothee Mücken et al., Positionspapier Prävention von Computerspielabhängigkeit, Positionspapier_prävention.pdf

(13) Dorothee Mücken et al., Arbeitspapier Behandlung von Medienabhängigkeit zur Diskussionsgrundlage für ein Positionspapier, Positionspapier_behandlung.pdf

(14) Dorothee Mücken et al., Protokoll der Tagung Protokoll_symposiumFV.pdf

Die geheime Fälscherakte meiner Erinnerung

Neurologen schlagen Alarm: Unser Gedächtnis ist viel anfälliger für Manipulationen als bislang angenommen. Jeden Tag wird unsere Vergangenheit neu erschaffen – und zu den größten Fälschern unserer Erinnerungen gehören unsere Eltern …

 

ACHTUNG!Achtung

 

Das ist eine Warnung: Die folgenden Zeilen sind Teil eines Gedankenexperiments. Die weitere Lektüre ist riskant, sie geschieht auf eigene Gefahr. Denn es könnte durchaus sein, dass Sie am Ende des Textes nicht mehr die gleiche Person sind wie vorher. Sind Sie bereit?

 

WIE ERINNERT MAN SICH AN EINE STRAFTAT,
DIE NIE GESCHEHEN IST?

 

Stellen Sie sich vor, jemand erklärt Ihnen, Sie hätten als Kind ein Verbrechen begangen. Jetzt sollen Sie zur Aufklärung beitragen. Sie bestreiten das, denn davon müssten Sie ja wissen. Doch dieser Mensch präsentiert Ihnen Akten, die den Vorfall belegen. Darin befinden sich sogar Aussagen Ihrer Eltern, die die Straftat ebenfalls bestätigen. Sie beginnen zu zweifeln: War da doch etwas? Ihr Gegenüber, ein Psychologe, beruhigt Sie: Ja, das ist völlig normal, dass Ihr Unterbewusstsein solche Taten verdrängt. Doch wir arbeiten das jetzt gemeinsam auf …

 

Auf diese Weise gelang es Julia Shaw (University of Bedfordshire) und Stephen Porter (University of British Columbia), in einem Experiment die Erinnerungen von 71 Prozent der Teilnehmer zu fälschen. Das Unglaubliche: Die Psychologen entlockten den 20-jährigen auf diese Weise das Geständnis einer Straftat, die sie in Wahrheit nie begangen hatten. Eine Teilnehmerin erinnerte sich sogar an 130 Details, wie sie im Alter von 14 Jahren ein anderes Mädchen mit einem Stein malträtiert hatte. Selbst die polizei musste laut ihrem Gedächtnisprotokoll anrücken. „Es hat mich überrascht, wie einfach das ging“, so Shaw zu ihrer Methode.

 

Doch das Experiment zeigt nur die Spitze des Eisbergs, ein einziges von Milliarden Ereignissen in unserem Leben, bei dem ausnahmsweise der Nachweis der Manipulation gelungen ist. Könnte nicht unsere gesamte Identität aus weit mehr falschen Erinnerungen bestehen, als wir ansatzweise für möglich halten? Um diese Frage zu klären, müssen wir die Funktionsweise des Gehirns genauer unter die Lupe nehmen: „Unser Gedächtnis arbeitet nicht wie ein Computer, der eine Art Video aufnimmt und später wieder abspielt. Erinnern ist vielmehr ein kreativer Prozess: Wir formen Eindrücke aus ganz unterschiedlichen Zeiten und Orten zu etwas, das sich anfühlt wie Erinnerung„, erklärt die Psychologin Elizabeth Loftus von der University of California, die das Gedächtnis seit Jahrzehnten erforscht.

 

Das Problem: Sowohl eingebildete als auch echte Erlebnisse entspringen dem gleichen Gehirnareal. Beide bestehen aus dem gleichen Rohmaterial, das heißt, aus zusammengesetzten Datenfetzen. Wir können daher allein anhand des Inhalts einer Geschichte nicht zwischen Fantasie und Realität unterscheiden.: „Es existiert kein Datenspeicher, mit dem wir prüfen können“, erklärt der Psychologe William Hirst von The New School for Social Research in New York. Selbst im Hirnscan sehen echte und falsche Erinnerungen gleich aus. Was wir können, ist lediglich das Gedankenmaterial auf Plausibilität und „Stimmigkeit“ zu beurteilen: Könnte es so gewesen sein oder nicht? Ob wir aber wirklich eine Straftat begangen haben, ob die Ampel auf Rot stand, ob wir einen Bekannten bei einem Konzert getroffen haben, ist letztlich eine willkürliche Entscheidung, die wir unterbewusst fällen. In allen Beispielen läuft in unserem Gehirn ein Spielfilm ab – manchmal trägt er den Titel „Dokumentation“ und manchmal eben „Fiktion“.

 

WARUM FUNKTIONIERT UNSER GEDÄCHTNIS
WIE EINE WIKIPEDIA-SEITE?

 

Doch damit nicht genug: „Jedes Mal, wenn wir einen Gedächtnisinhalt hervorholen, verändern wir ihn wieder. Durch die Stimmung, in der wir uns gerade befinden, durch neue Informationen, die wir damals noch nicht hatten. Das ist wie eine Datei, die immer wieder verändert wird, und nur die neueste Fassung ist zugänglich“, sagte Loftus. Zahlreiche Experimente beweisen: An ein und das gleiche Ereignis erinnern sich Personen völlig unterschiedlich, je nachdem, in welcher Gruppe sie es aufarbeiten. „Schon anch der ersten Unterhaltung verändern sich die Erinnerungen. Mit der Zeit gleichen sie sich alle immer weiter an“, erklärt Hirst. Unsere Vergangenheit wird so immer kürzer, gefälliger, angepasster. Wir alle glauben, unser „ICH“ bilde sich aufgrund unserer eigenen Erfahrungen und Erlebnisse.

 

Vater-mit-Kind

 

Alles ist vergänglich, aber wenigstens die Erinnerung daran gehört uns allein. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall: „Erinnern ist ein sozialer Prozess“, erklärt Shaw. Vermeintliche „Fehler“ darin korrigieren wir insgeheim mit neuen Details, einfach weil sie gut „passen“ – und weil in unserem Gedächtnis vielleicht gerade eine Lücke klafft, die es zu füllen gilt. Und je stimmiger die neue Geschichte ist, desto leichter wird sie zur Erinnerung. So ist unsere Vergangenheit in Wahrheit wie eine Wikipedia-Seite: Wir können sie jederzeit aufrufen und editieren – aber jeder andere kann das eben auch. Und wir selbst sehen immer nur die aktuellste Version.

 

WIE VIEL FALSCHGELD
STECKT IN MEINEM KOPF?

 

Wie viel in unserem Leben hat in Wahrheit also nie stattgefunden? Ein Prozent? Zehn? Oder sogar 50? Niemand weiß es. Sicher ist nur: Währen Erinnerungen eine Währung, so befänden sich jede Menge Blüten im Umlauf. Und es werden mehr, je weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen. Täuschen wir uns über das Gestern noch in vielleicht einem Prozent der Fälle, sind es über das vergangene Jahr bereits wesentlich mehr: Forscher von einem Dutzend US-amerikanischen Universitäten untersuchten über Jahre hinweg, wie sich die gleichen Menschen an den Tag der Anschläge vom 11. September 2001 erinnerten – also an einen Tag, der sich aufgrund seiner Tragweite scheinbar im Gedächtnis festgebrannt hat.Das Überraschende: 40 Prozent der 2100 Befragten veränderten ihre Geschichte im Laufe der Zeit, die meisten ganz entscheidend und das bereits nach einem Jahr. Statt im Büro waren sie auf einmal während der Anschläge auf der Straße oder statt aus dem Fernsehen erhielten sie die Nachricht plötzlich von Bekannten.

 

Das Gedächtnis betrügt die Betroffenen geradezu: „Starke Emotionen wie Angst fokussieren unsere Erinnerungen auf bestimmte Details, während wir andere ignorieren. Diese eindringlichen, lebendigen Details dienen in der Folge als Beweis für die Wahrheit der gesamten Geschichte – einfach, weil sie sonst nicht existieren würden“, erklärt Hirst. Und in der Rückschau auf unser Leben vor dem Alter von drei Jahren, existiert praktisch nur noch Falschgeld. Alle Erinnerungen aus dieser Zeit stammen aus Erzählungen, meist von unseren Eltern. Viele Menschen beteuern, wie genau sie sich an Szenen als Kleinkind erinnern, in Wahrheit ist der Hippocampus als oberste Schaltzentrale des Gedächtnisses aber noch gar nicht in der Lage, Erinnerungen dauerhaft abzuspeichern. Doch je öfter uns Mutter und Vater von dem Unfall im Garten oder dem Kindertheater in der Krippe erzählen, desto mehr verschwimmt die Grenze zwischen Tatsachen und eingepflanzter Realität. Aus Fantasie wird schließlich Wahrheit – allerdings so, wie unsere Eltern sie erlebt haben. Doch während diese Beispiele noch harmlos wirken, kann eine einzige falsche Erinnerung unter Umständen sogar ein Leben in Gefahr bringen…

 

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KÖNNEN FALSCHE ERINNERUNGEN
EINEN MORD BEGEHEN?

 

Es ist 4:40 Uhr morgens, als Da­mon Thibodeaux sein Schicksal besiegelt. Nach neun Stunden Verhör gibt der 22-Jährige zu, seine Cousine Crystal aus Louisiana vergewaltigt und stranguliert zu haben. Zu diesem Zeitpunkt ist er beinahe 35 Stunden ohne Schlaf: Die Ermittler bauen psychischen Druck auf, lassen ihn durch einen Lügendetektortest fallen. Sie er- klären, sein Alibi sei falsch, und konfrontieren ihn immer wieder mit ihrer vermeintlich abgesicherten Version der Geschichte. Schließlich kommt die Erinnerung an eine Tat, die er nie begangen hat: „Ich wusste nicht, dass ich es getan habe – aber ich habe es getan“, gibt Thi­bodeaux zu Protokoll. Kurz darauf wird er zum Tod verurteilt, 16 Jahre verbringt er 23 Stunden täglich in einer 1,8 x 3 Meter großen Zelle und wartet auf seine Exekution – erst 2012 beweist ein DNA- Test seine Unschuld. Er ist bereits der 300. Gefangene, der durch den Gen-Beweis seine Freiheit wiedererlangt. Und eine Analyse der Fälle zeigt: In drei Vierteln der Fälle waren falsche Erinnerungen Ursache der Justizirrtümer…

 

Damon Thibodeaux gesteht am 21. Juli 1996 einen Mord, den er nicht begangen hat - erst mehr als 16 Jahre später wird seine Unschuld bewiesen. Die Ermittler der Polizei hatten seine Erinnerungen gefälscht, um dem Gericht einen Täter präsentieren zu können.
Damon Thibodeaux gesteht am 21. Juli 1996 einen Mord, den er nicht begangen hat – erst mehr als 16 Jahre später wird seine Unschuld bewiesen. Die Ermittler der Polizei hatten seine Erinnerungen gefälscht, um dem Gericht einen Täter präsentieren zu können.

 

Der Verhörraum ist ein Ort, in dem die Erinnerungsfälschung besondere Brisanz erhält: Denn um die gewünschte Aussage zu erhalten, ist körperliche Gewalt überhaupt nicht notwendig. Schon eine einzige Frage kann das Gedächtnis des Zeugen nachhaltig verschmutzen: Je nachdem ob sie „Was haben Sie gesehen?“ Oder „Haben Sie ein Auto gesehen?“ Oder sogar „Haben Sie das Auto gesehen?“ lautet, wird unter Umständen ein nicht existierendes Fahrzeug in die Erinnerung des Zeugen implantiert. Darüber, wie oft ein solcher Missbrauch tatsächlich geschieht – egal, ob wissentlich oder nicht existieren keine Statistiken. Doch das Ergebnis dieser Manipulation ist für Ermittler, die unbedingt einen Täter präsentieren wollen besser, als es jede Gewaltanwendung sein könnte: Denn ein Verdächtiger gerät in einen Zustand, in dem er den implantierten Tathergang irgendwann selbst glaubt – Oder sich zumindest nicht mehr sicher ist.

 

Diese Waffe der Ermittler funktioniert selbst im Alltag: In einer Studie an der University of California redete der Versuchsleiter den Teilnehmern ein, ihnen sei als Kind einmal von Erdbeereis, Dillgurken oder hart gekochten Eiern schlecht geworden – schon verringerte sich ihr Appetit auf diese Speisen. Umgekehrt reichte es, den Probanden eine angenehme Erinnerung an Spargel einzupflanzen, damit sie in Zukunft mehr davon aßen.

Fakt ist: Wir können unserer eigenen Vergangenheit nicht trauen. Eine Frage, ein Gespräch, ein Foto oder ein Medienbericht haben die Kraft, sie wieder umzuschreiben. Elisabeth Loftus rät daher zu mehr Vorsicht: „Wenn ich et- was aus meiner jahrzehntelangen Arbeit gelernt habe, ist es Folgendes: Nur weil uns jemand etwas voller Selbstvertrauen erzählt, weil er es genau im Detail wiedergibt und ein Gefühl hineinlegt, heißt das nicht, dass es wirklich passiert ist.“ Eine Erkenntnis, die an den Grundlagen der eigenen Persönlichkeit zweifeln lässt …

 

Marcus Duroldt