Welche Medikamente kosten mehr Menschenleben, als sie retten? Wie erfindet man eine Krankheit? Was entscheidet wirklich darüber, wer eine Organspende bekommt? K-Networld über die dunklen Geheimnisse der Medizin…

Es ist ein Vertrag, dessen Gültigkeit weder eine Unterschrift noch eine mündliche Zustimmung oder einen Handschlag benötigt. Er tritt automatisch in Kraft – jedes Mal, wenn Sie das Sprechzimmer Ihres Arztes betreten. Mit dem sogenannten Behandlungsvertrag verpflichtet sich jeder Arzt dazu, seinen Patienten aufzuklären, ihn zu beraten und Schaden von ihm abzuwenden. Was jedoch kaum jemand weiß: Jeden Tag werden diese Verträge von Ärzten gebrochen. Oft unbewusst, manchmal jedoch auch mit voller Absicht. Aber warum? Grundsätzlich gibt es für diese Vertragsbrüche drei Gründe:

  1. UNWISSENHEIT: Selbst bahnbrechende neue Erkenntnisse brauchen bis zu 30 Jahre (!), bis sie von allen behandelnden Ärzten berücksichtigt wer­den. Beispiel: Seit drei Jahrzehnten ist bekannt, dass das Beruhigungsmittel Diazepam (Valium) ebenso süchtig macht wie Heroin – dennoch wird es bis heute millionenfach verschrieben.
  2. UNEHRLICHKEIT: „Was würden Sie tun, wenn Sie an meiner Stelle wären?“ Viele Mediziner fürchten diese Frage und antworten darauf nicht ehrlich bzw. verschweigen den Patienten ihre persönliche Einschätzung. Beispiel: Eine Umfrage der Duke University in North Carolina sollte herausfinden, ob Ärzte ihren Patienten bei einer Darmkrebs- Diagnose die Behandlung empfehlen, die sie selbst als beste erachten. Das Ergebnis alarmierte die Fachwelt: Von 500 Ärzten rieten 40 Prozent ihren Patienten zu einer Operation, die sie für sich selbst ablehnen würden, weil sie zu viele Nebenwirkungen hat.
  3. DESINFORMATION: Fakt ist: Mehr als 50 Prozent der finanzierten Medikamenten-Studien werden von den Pharmafirmen zu ihren Gunsten beeinflusst. „Auf der einen Seite hat man Studien, die meistens von den Herstellern finanziert und durchgeführt werden, und die haben damit die Tendenz, überoptimistisch zu sein. Und auf der anderen Seite werden die Studien, die nicht das gewünschte Ergebnis bringen, tendenziell seltener publiziert“, erklärt Professor Gert Antes von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Für die Ärzte bedeutet das: Bei der Beratung ihrer Patienten verlassen sie sich nicht selten auf Studienergebnisse, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Auch das wird jedoch den Behandelten verschwiegen.

     

Es gibt allerdings eine Instanz, die diesen Missständen in der Medizin den Kampf angesagt hat: die Cochrane Collaboration – ein Netzwerk unabhängiger Mediziner und anderer Wissenschaftler, das weltweit seit 20 Jahren operiert und sich zu einer Art inoffiziellem TÜV für medizinische Produkte und Verfahren entwickelt hat. Idee und Name dieser Gruppe gehen zurück auf den Mediziner Archie Cochrane, einen der Gründerväter der „evidenzbasierten Medizin“. Ziel der Forscher ist es, die unabhängigen und aussagekräftigen Studien von denjenigen Evaluierungen herauszufiltern, die von Pharmakonzernen in Auftrag gegeben worden, nur mit dem Zweck, das getestete Medikament in den Markt ein- zuführen. Um Letzteres zu verhindern, werden durch systematisches Überprüfen, Vergleichen und Zusammenfassen von verschiedenen Studien die Wirksamkeit und die Risiken eines Medikaments kontrolliert – und so die Gesundheit der Patienten gewährleistet. Mittlerweile arbeiten für die Cochrane Collaboration mehr als 37 000 Wissenschaftler in 100 Ländern – ohne Bezahlung. Ihr Ziel: „Wir wollen das Risiko verringern, dass Ärzte ihre Patienten umbringen, nur weil sie einer möglicherweise gefälschten Studie vertraut haben“, sagt lain Chalmers, der die Organisation gründete.

Auf den folgenden Seiten enthüllt K-Networld nun nach monatelanger Recherche und mithilfe führender unabhängiger Medizinexperten, wie genau diese Studien zustande kommen, welche Informationen uns Ärzte noch verschweigen und wie manche Mediziner so das wichtigste Gut des Menschen aufs Spiel setzen: unsere Gesundheit…

WIE GEFÄHRLICH IST DIE GRIPPE WIRKLICH?

Jedes Jahr for­dert sie viele Tausend Opfer in Deutschland – aktuellen Zahlen zufolge mehr als 20 000. Damit ist die Grippe eine Seuche, die im deutschen Bundesgebiet jährlich mehr als doppelt so viele Leben kostet wie die Ebola-Epidemie im gesamten Westafrika. Die Sache ist also ernst, wenn sich Medien, Krankenkassen und Weltgesundheitsorganisation zusammentun und zur saisonalen Grippe-lmpfung aufrufen. „Sich impfen zu lassen, ist der beste Schutz“, erklärt das Bundesgesundheitsministerium offiziell. Eine Empfehlung, die wohl die meisten Ärzte an ihre Patienten weitergeben – denn tatsächlich folgen jedes Jahr rund 20 Millionen Deutsche diesem Aufruf – trotz möglicher Nebenwirkungen wie Kopf-, Hals-, Muskel- und Gliederschmerzen. So wäre die Grippe-lmpfung für das gesamte Gesundheitswesen in Deutsch­land eigentlich eine echte Erfolgsgeschichte – wäre da nicht ein Fakt, der den Patienten verschwiegen wird: Es ist gut möglich, dass Grippe-lmpfungen gar nicht wirken. Tatsachlich gibt es kritische Untersuchungen, die Zweifel wecken an der offiziellen Impf-Leitlinie. So überprüfte die Cochrane Collaboration in einer Metastudie 36 Einzelstudien und fand heraus, dass die jährliche Grippe-lmpfung keinen nachweisbaren Effekt auf schwere Komplikationen oder die Anzahl der grippebedingten Krankenhauseinlieferungen hat. Auch Professor Gert Antes von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg stellt die Wirksamkeit von Grippe-lmpfungen grundsätzlich in Frage:

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„Üblicherweise wird der Nutzen der Grippeimpfung erheblich uberschätzt.“
WOLFGANG BECKER-BRÜSER, ARZT UND APOTHEKER

 

„Die Studienlage hat gezeigt, dass man 100 Personen impfen muss, damit eine Person einen Nutzen davon hat.“ Nach Meinung von Professor Antes ein gravierendes Problem, da „relevante Studien fehlen“. Probleme hatten die Cochrane-Forscher auch mit der offiziellen Festlegung einer bestimmten Risikogruppe: Säuglinge. Das Center of Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta stufte 2006 die Impfempfehlung für Kinder auf sechs Monate herab.

Die Begründung: Es gebe eben auch viele Grippekranke in der Gruppe der Kinder unter 18 Jahren – eine genaue Statistik zu Säuglingen fehlt aber. Seltsam fand das auch die Cochrane Colla­boration, die 51 Studien zu Grippeerkrankungen bei Kindern sammelten: Nur zwei davon setzen sich mit Säuglingen auseinander. Und die konnten keine Wirksamkeit nachweisen. Zudem gab es nur eine Studie, die sich mit der Sicherheit der Impfstoffe beschäftigte: Sie war über 30 Jahre alt und war mit nur 35 Säuglingen gemacht worden.

WIE ZÄHLT MAN GRIPPE-TOTE?

 

Die Zahlen beruhen nicht auf dokumentierten Grippe-Todesfällen“, erklärt der Wissenschaftsautor Frank Wittig. Tatsächlich handelt es sich dabei um Schätzungen. Um an Zahlen zu kommen, „zieht man die Sommertoten von den zahlreicheren Wintertoten ab und nennt das, was übrig bleibt, Exzessmortalität“, beschreibt Wittig das Vorgehen. Zwar wird diese Sterberate nicht direkt mit den Influenza-Toten gleichgesetzt, dient aber als Basis zur Schätzung der sogenannten „Influenza-assoziierten Exzessmortalitat“.

Ubrigens: Bis heute wurde nur im Jahr 2009 von diesem Schätz-Verfahren abgesehen. Damals grassierte in Deutschland die Schweinegrippe, und Todesfälle waren meldepflichtig. Das überraschende Ergebnis: Es gab lediglich 252 dokumentierte Grippe-Tote.

KANN MICH EINE GRAPEFRUIT TÖTEN?

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In Deutschland sind über 60000 Medikamente zugelassen, und jeder Deutsche schluckt im Schnitt 3,4 Pillen pro Tag. Schon bei einer einfachen Erkältung kommt man schnell auf ein halbes Dutzend Präparate, die man völlig selbstverständlich einnimmt.

Das Problem: Egal, wie harmlos ein Wirkstoff isttrifft er auf einen anderen, reagiert er chemisch mit diesem. Die Folgen können gravierend sein: Medi­kamente verändern sich, heben sich gegenseitig auf, bewirken das Gegenteil oder verstärken sich sogar so weit, dass sie zu einem tödlichen Gift werden. Ein Russisches Roulette, vor dem Ärzte seit Jahren warnen – vor allem auch mit Blick auf Selbstbehandlungen. Was sie jedoch oft nicht erwähnen: Medikamente gehen nicht nur mit anderen Medikamenten Wechselwirkungen ein – sondern mit allem, was chemischen Einfluss auf den Körper hat. Und dazu gehören auch Lebensmittel. 

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„Rund zwei Prozent aller Krankenhausaufenthalte in Deutschland sind die Folge von Wechselwirkungen“, SAGT PROFESSOR WALTER E. HAEFELI, UNIVERSITÄTSKLINIKUM HEIDELBERG.

Wie sehr Ärzte dieses Risiko ignorieren, zeigt ein Blick in den täglichen Praxisbetrieb. Dort werden Essgewohnheiten in der Regel nicht abgefragt, obwohl der Einfluss von Nahrungsmitteln auf den Stoffwechsel – den körpereigenen Chemiekasten – unbestreitbar ist. Ähnlich verhält es sich mit den standardisierten Patientenbogen. Die Ärzte erkundigen sich hier lediglich nach Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme oder Schwangerschaften. Nahrungsmittel? Fehlanzeige! Dabei wissen Ärzte, dass selbst Obst schnell gefährlich werden kann. So beeinflusst beispielsweise Furanocumarin, ein Inhaltsstoff von Zitrusfrüchten wie Grapefruits, den Abbau von Medikamenten im menschlichen Körper. Aus einer harmlosen Dosis kann so leicht eine gefährliche werden. Einen 29-jährigen Amerikaner kostete diese Wechselwirkung das Leben: Er nahm ein Antiallergikum gegen Heuschnupfen und wollte mit einem Glas Grapefruitsaft seine Abwehrkräfte stärken. Daraufhin erhöhte sich die Konzentration des Wirkstoffs Terfenadin im Blut um das 30-Fache, was seinen Kreislauf kollabieren ließ.

Ähnlich gefährlich können z.B. Bier, Salami oder reifer Käse sein. Der Grund: Werden sie länger gelagert, enthalten sie große Mengen des blutdrucksteigernden Stoffes Tyramin. Nimmt man gleichzeitig sogenannte Monoaminoxidase-Hemmer zu sich – z.B. zur Behandlung von Angstzuständen oder Depressionen – wird der Abbau von Tyramin gestört. Die Folgen: Kopfschmerzen und ein starker Anstieg des Blutdrucks. Ein anderes Beispiel betrifft die mehr als drei Millionen Asthmatiker in Deutschland. Denn einige Asthmamedikamente enthalten Theophyilin. Wird der Stoff in Kombination mit schwarzem Pfeffer eingesetzt, reagiert das Medikament mit Piperin – einer im Pfeffer natürlich vorkommenden chemischen Verbindung aus der Gruppe der Alkaloide – und sorgt so dafür, dass der Theophyllin-Spiegel im Körper ansteigt. Mögliche Symptome: Sodbrennen, innere Unruhe und Herzrhythmusstörungen.

Peter C. Gøtzsche
„Das Schlimme ist, dass alle Medikamente schädliche Nebenwirkungen haben – während viele auch unwirksam sind.“ Peter Gøtzsche, Facharzt für innere Medizin, Leiter des Nordic Cochrane Centre

 

KOSTEN MEDIKAMENTE MEHR LEBEN, ALS SIE RETTEN?

 

Mehr als 650 Millionen Arzneimittel gehen jedes Jahr über den Apothekentisch. Was dabei kaum einer ahnt: Es ist in Deutschland bis zu 16-mal wahrscheinlicher, an der Einnahme verschriebener Medikamen­te zu sterben – als an einem Verkehrsunfall. Kein Zweifel: Arzneimittel retten Leben. Dennoch verschweigen viele Ärzte, dass jede Medikamenteneinnahme immer auch Risiken bedeutet – und gemeint sind nicht etwa die Exoten im Apothekerschrank. Ganz im Gegenteil. ,,Die häufigsten Nebenwirkungen und Komplikationen werden durch die Medi­kamente verursacht, die auch am häufigs­ten verordnet werden, sagte Keihan Ahmadi-Simab, Ärztlicher Direktor des Klinikums Stephansplatz in Hamburg. Und genau hier liegt nach Ansicht vieler Experten das Problem. Denn etwas, das harmlos wirkt, in Wahrheit aber gefährlich ist, ist für den Patienten gleich doppelt gefährlich.

Deutlich wird das am Beispiel von Antidepressiva. Professor Bruce Arroll von der University of Auckland fand heraus, dass solche Psychopharmaka nur bei einem von zehn Patienten Wirkung zeigen. Trotzdem werden die rund vier Millionen Menschen, die in Deutschland wegen Depressionen in Behandlung sind, auf diese Weise therapiert – obwohl den verschreibenden Ärzten klar sein muss, dass sie viele Patienten damit einem unnötigen Risiko aussetzen. Denn Tatsache ist auch: Antidepressiva haben enorme Nebenwirkungen. Professor Peter Gøtzsche, Direktor des Nordic Cochrane Centre, der die gesundheitlichen Begleiterscheinungen von Antidepressiva untersuchte, zeigt in einer Studie, dass allein in den westlichen Ländern mit rund 1,2 Milliarden Einwohnern jährlich rund 500 000 Menschen an den Nebenwirkungen dieser Behandlung sterben. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Selektiven-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI).

Seit Jahren tobt in der Fachwelt ein Streit, da das Präparat im Verdacht steht, das Suizidrisiko deutlich zu erhöhen. Schuld daran ist nach Meinung vieler Experten die besondere Eigenschaft von auf SSRI basierenden Medikamenten. Sie sorgen dafür, dass depressive Menschen aktiver werden – ihre Antriebslosigkeit überwinden. Das Problem: Das Medikament verleiht jedem Vorhaben mehr Energie, und dazu gehören auch Suizidabsichten. Besonders zu Beginn einer Behandlung kann sich „ein Patient noch depressiv fühlen und auch sterben wollen – während das Medika­ment bereits damit beginnt, den Antrieb zu verbessern“, erklärt Professor And­reas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Dennoch wissen selbst Kritiker der SSRI, dass es zurzeit kaum Alternativen zur Behandlung von zu mindestens schweren Depressionen gibt. Der Grund: Andere Antidepressiva haben noch mehr Nebenwirkungen.

WAS ENTSCHEIDET WIRKLICH DARÜBER,
WER EINE ORGANSPENDE BEKOMMT?

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„Warum in der Transplantationsmedizin bestimmte Aufklärungspflichten aufgehoben sein sollen, das ist mir rätselhaft.“
PAOLO BAVASTRO, KARDIOLOGE

In Deutschland leben rund 11.000 Menschen, die auf eine Organtransplantation warten. Dem gegenüber stehen allerdings gerade einmal 3.000 Organe, die jährlich gespendet werden. Die Wartezeiten für den Einzelnen sind entsprechend hoch. Im Schnitt liegen sie bei rund sechs Jahren für eine Niere und bei bis zu zwei Jahren für ein Herz oder eine Leber. Doch was heißt das eigentlich genau? Steigt die Chance, ein Organ zu bekommen, wenn man nur lange genug wartet? Nicht zwangsläufig: Denn im Gespräch mit ihren schwerkranken Patienten sind viele Ärzte nur bedingt ehrlich. Neben den quasi harten Kriterien (Blutgruppe, mögliche Abstoßungsreaktion usw.), die darüber entscheiden, ob ein Spenderorgan überhaupt zum Patienten passt, gibt es noch zahlreiche „weiche Kriterien“. Und die spielen bei der Vergabe von Organen eine entscheidende Rolle.

Zum Beispiel erfahren viele Betroffene nicht, dass „für jedes gemeldete Spenderorgan die Rangfolge der Patienten neu berechnet wird“, erklärt Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Doch selbst wenn diese Würfel für einen Patienten günstig fallen, heißt das noch lange nicht, dass er automatisch zur Transplantation ausgewählt wird – tatsächlich heißt das noch nicht einmal, dass er überhaupt irgendwann ein neues Organ bekommt. Aber wie kann das sein?

Sobald sich nur zwei Patienten auf einer Liste – z.B. für die Vergabe einer Niere – hinsichtlich ihrer messbaren Kriterien zu stark ähneln, handelt es sich um ein Unentschieden. Bei mehr als 10.000 Menschen, die in Europa auf eine Niere warten, ein Problem, das häufiger auftritt, als die meisten ahnen. Um in dieser Situation dennoch einen Patienten für ein Organ aussuchen zu können, müssen Ärzte nicht nur auf die vermeintlich harten – sondern ebenso auf weiche Kriterien prüfen. Die sind nicht messbar, sondern basieren oft auf subjektiver Abwägung. Für die verantwortlichen Ärzte ein Dilemma. Sie müssen anhand von Faktoren wie Dringlichkeit oder Lebenswandel einen Organempfänger ermitteln – eine wahnsinnig schwere Aufgabe. In der Praxis kann das dann bedeuten, dass ein 47-jähriger Alkoholiker eine geringere Chance auf eine Spenderleber hat als ein 17-jähriges Mädchen, das an einer Erbkrankheit leidet und sonst gesund ist. Für Kritiker nur schwer hinnehmbar: Denn ohne objektive Kriterien sehen sie eine rote Linie überschritten.

Patrick McMahon – ehemaliger Transplantations-Koordinator in den USA – beschuldigt Ärzte vor diesem Hintergrund sogar, „Gott zu spielen“.

PRINZIP HIRNTOD

Entgegen der verbreiteten Meinung können Tote keine Organe spenden, „Man kann nur Organe transplantieren, die lebendig sind“, erklärt der Kardiologe Paolo Bavastro. Damit Ärzte – im Grunde aus einem lebendigen Leib – dennoch Organe entnehmen können, ohne sich strafbar zu machen, hat man im Jahr 1968 den sogenannten „Hirntod“ eine alternative Tod-Definition eingeführt. Dabei gehen die Gehirnfunktionen als unwiderruflich erloschen – während die übrigen Körperfunktionen noch aktiv sind. Lediglich 4000 solcher Fälle gibt es jährlich in Deutschland.

WERDEN MEDIZIN-STUDIEN MANIPULIERT?

TablettenDie Manipulationen von klinischen Studien sind so häufig und so schwerwiegend, dass man Berichte über diese Studien nur als Werbung für Medikamente betrachten sollte“, sagt Professor Peter C. Gotzsche, Direktor des Nordic Cochra­ne Centers am Rigshospitalet in Kopenhagen – und macht sich damit einige Feinde. Denn für einen Mediziner sind das extrem harte Worte, und sie richten sich nicht nur gegen die Pharmaindustrie – sondern auch gegen alle Ärzte und Forscher, die zu diesem Thema schweigen. Die Wahrheit ist: Die meisten Mediziner tun das. Doch was bedeutet das für uns Patienten?

Auf der einen Seite hat man Studien, die meistens von den Herstellern finanziert und durchgeführt werden und die haben damit die Tendenz, überoptimistisch zu sein. Und auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass die Studien, die nicht das gewünschte Ergebnis bringen auch tendenziell seltener publiziert werden“, erklärt Professor Gert Antes von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Tatsächlich müssen Pharmafirmen keine Erkenntnisse erfinden oder fälschen – es reicht schon, Fakten anders zu gewichten oder wegzulassen. Vermeintlich kleine Unterschiede können „auf dem Weltmarkt Milliarden Dollar ausmachen“, erklart Gotz­sche.

Das Prinzip jedenfalls scheint einfach: Wer über die finanziellen Mittel verfügt, bestimmt auch die Ergebnisse. Das bestätigen stichprobenartige Untersuchungen des Cochrane Centers. Sie zeigen je nach Studie, dass zwischen 50 und 61 Prozent der finanzierten Medikamenten-Studien von den zahlenden Pharmafirmen zu ihren Gunsten beeinflusst wurden. Der Zulassung von Medikamenten stehen manipulierte Studien jedoch nicht im Weg – denn bis heute gibt es keine „disziplinubergreifenden Standards für Gutachterverfahren, genauso wenig wie messbare Qualitatskriterien“ für wissenschaftliche Studien, erklärt Professor Flaminio Squazzoni von der Universität Brescia. Der eigentliche Skandal ist aber, dass es kein Geheimnis ist. Zehntausende manipulierter Studien sind aufgeflogenenttarnt z.B. von den weltweit rund 37.000 Forschern des Cochrane Centers, die ihre Enthüllungen in namhaften Fachzeitschriften und Medizinjournalen veröffentlichen.

Ärzte sollten davon wissen. Sie haben eine enorme Verantwortung gegenüber ihrer Patienten – und die erwarten von ihrem Arzt, dass der sich wenigstens über die wichtigsten medizinischen Entwicklungen regelmäßig informiert – vor allem, wenn es Medikamente betrifft, die er verschreibt. Die Vergangenheit zeigt jedoch: Viele Medikamente werden weiter verschrieben, obwohl die Studienlage das eigentlich nicht mehr hergibt. Ein Beispiel ist der sogenannte PSA-Tests zur Früherkennung von Prostatakrebs. Auch wenn Studien ebenso wie sein Entwickler Professor Richard Ablin mittlerweile davon abraten, wird er weiterhin von Ärzten angeordnet. Ähnlich verhält es sich mit dem Beruhigungsmittel Diazepam (Valium). Es klingt wahnsinnig, doch obwohl seit fast 30 Jahren bekannt ist, dass der Stoff ebenso süchtig macht wie Heroin, wird er weiter verschrieben.

SIND WIR VERSUCHSKANINCHEN?

Um die Wirkung von Medikamenten besser überwachen zu können, investieren Pharmafirmen jährlich rund 100 Millionen Euro in sogenannte Anwendungsbeobachtungen. Dabei verordnen Ärzte in ihrer Praxis ein bestimmtes Medikament – und dokumentieren die Wirkung. Doch hilft das Verfahren wirklich dabei, Arzneimittel sicherer zu machen? Genau das bezweifeln viele Experten. Der medizinische Mehrwert dieser verdeckten Medikamentenstudien sei demnach sehr gering – die Honorare der Ärzte dagegen unverhältnismäßig hoch. Ein Missverhältnis, das für Experten wie Professor Karl Lauterbach ein klares Indiz dafür ist, dass AWBs in Wahrheit Ärzte dazu verleiten sollen, ein bestimmtes Medikament bevorzugt zu verschreiben. Problematisch ist vor diesem Hintergrund auch, dass weder der Staat noch die Krankenkassen diese Verbindung von Ärzten und Pharmaindustrie überwachen. Tatsächlich ist das einzige Kontrollinstrument der Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“.

SIND CHIROPRAKTISCHE BEHANDLUNGEN OHNE WIRKUNG?

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„Ihre Gesundheit sollte Ihnen das doch wert sein – oder?“ So oder ähnlich werden Patienten in Deutschland immer wieder von Ärzten in der Sprechstunde überzeugt, sogenannte Zusatzleistungen oder Alternativbehandlungen auszuprobieren. Was die Ärzte dabei oft verschweigen: Der medizinische Nutzen dieser Behandlungen ist aus medizinischer Sicht unklar. Dennoch boomt das Geschäft mit den zweifelhaften Sondertherapien. Auffällig ist: Das Prinzip dahinter ist in den meisten Fällen identisch:

Zuerst werden von der Industrie, von Verbänden oder Medizinern in sehr offensiven Kampagnen Millionen in Werbung und Marketing einer bestimmten Behandlungsmethode investiert – bis man praktisch aus dem Nichts einen neuen „Gesundheitstrend“ konstruiert hat. Der sorgt so lange für Gewinne, bis irgendwann die Forschung zu dem Trend aufschließt – und ihn schließlich mit Studien widerlegt oder in Frage stellt.

Ein Beispiel ist die Chiropraktik. Sie gilt unter Medizinern als die etwas sanftere Heilung – so jedenfalls wird sie den Patienten verkauft. Ihr Anspruch: mithilfe von gezielten Manipulationen der Wirbelsäule und durch einen ganzheitlichen Ansatz, der auch Ernährung und Verhaltenstherapie mit einschließt, diverse Krankheiten aus der Welt zu schaffen. Doch spätestens 2008 geriet das Konzept der Chiropraktik ins Wanken. Einer der führenden Experten für Alternative Behandlungsmethoden – Professor em. Edzard Ernst von der Universität von Exeter – kam damals in einer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass chiropraktische Behandlungsmethoden auf „mystischen Prinzipien“ beruhen und wissenschaftlich nicht fundiert seien. In einer anderen Studie überprüfte Professor Steven Paul No­vella von der Yale University School of Medicine 27 Studien, die von der mächtigen British Chiropracticer’s Association (BCA) höchstselbst als Referenz für den medizinischen Nutzen chiropraktischer Behandlungsmethoden angeführt werden – und kam zu einem vernichtenden Urteil: „Das Beste, was die Liste zu bieten hat, sind schwache und schlecht designte Studien. Zudem ignoriert der Verband bessere, größere Studien, die auch negative Ergebnisse finden.“

Doch selbst wenn Wissenschaftler den fehlenden Nutzen eines Gesundheitstrends bewiesen haben, wird er noch lange nicht aufgegeben. Die Vergangenheit zeigt, dass die Schöpfer solcher Trends bis zuletzt um ihre lukrativen Gesundheitsprogramme kämpfen. Dieses letzte Zucken eines Gesundheitstrends erkennt man dann vielleicht an der Art, wie darum gestritten wird: nicht mithilfe unabhängiger Forschung oder der sachlichen Kontroverse – sondern mit Anwälten und Imageberatern …

SIND DIÄTEN IN WAHRHEIT UNGESUND?

 

Personenwaage

Als Katrin ihr E-Mail-Programm schließt, traut sie ihren Augen kaum: „Abnehm-lndustrie geschockt. Wie Sie mit diesem Medikament in nur zwei Wochen Ihr Wunschgewicht erreichen!“ Die Anzeige, die auf ihrem Monitor aufgeklappt ist, sieht seriös aus. Katrin klickt auf den Link und landet auf der Webseite eines Online-Händlers für Fitness-Produkte. Die Diät-Pille wird als Wundermittel aus den USA angepriesen. Für Katrin klingt das gut. Vielleicht zu gut. Sie wird misstrauisch – und geht noch am selben Tag zu ihrem Hausarzt. Seit acht Jahren behandelt er sie wegen ihres Übergewichts – abgenommen hat sie bis heute nicht. Doch als der erfahrene Arzt von der Abnehmpille hört, winkt er ab. „Davon würde ich die Finger lassen.“ Stattdessen empfiehlt er ihr erneut eine normale Diät. Sie könne das auch aus eigener Kraft schaffen, wenn sie denn nur wolle. Dass er damit einige der wichtigsten Erkenntnisse der jüngeren Diät-Forschung ignoriert, verschweigt der Arzt…

Auch wenn es viele Ärzte nicht wahrhaben wollen oder weil sie es selbst anders gelernt haben, steht dennoch fest: Übergewicht ist keine Krankheit, von der man geheilt werden muss. Ganz im Gegenteil. Eine Forschungsgruppe des Center for Disease Control and Prevention in Atlan­ta kam in einer Metaanalyse von 97 Studien mit rund 2,88 Millionen Probanden sogar zu dem Ergebnis, dass Übergewichtige und Menschen mit leichtem Hang zu Fettleibigkeit länger leben als Normalgewichtige. Eine andere – von Ärzten kaum beachtete – Erkenntnis der Forschung lautet; Der Misserfolg einer Diät hat rein gar nichts mit dem Willen oder der Entschlossenheit des Patienten zu tun. „Diäten scheitern, weil sie gegen ein elementares Naturgesetz des menschlichen Organismus verstoßen: das Gesetz der Energieversorgung des Gehirns“, erklärt Prof. Achim Peters von der Universität zu Lübeck. Einfach gesagt: Das Gehirn unterscheidet nicht, ob eine Nahrungsmittelknappheit freiwillig durch eine Diät oder unfreiwillig durch eine Hungersnot zustande kommt. Wird es nicht ausreichend versorgt, deutet es das als Notsituation – und startet einen Notfallplan: Dabei werden der Stoffwechsel und die Körperfunktionen heruntergefahren, um Energie zu sparen.

Medizinisch bedeutet das dann auch: Es kann zu Nebenwirkungen kommen – wie z.B. depressive Zustände, Muskelschwund, Knochenabbau, Gedächtnisschwäche, Müdigkeit oder Rückenschmerzen. Tatsächlich „kommt es ausnahmslos bei jeder kalorien- oder kohlenhydratreduzierten Diät – auch wenn sie von Ärzten als noch so schonend und gesund angepriesen wird – zu Nebenwirkungen. Die allerdings werden verschwiegen“, erklärt Professor Peters. Und was spricht nun eigentlich gegen die vielversprechenden Diät-Tabletten aus der Werbung? Noch schlimmere Folgeschäden, erklärt Professor Peters. Der Grund: „Es gab tatsächlich Versuche, Abnehmpillen zu entwickeln. Die Einführung dieser Präparate scheiterte allerdings jedes Mai an den damit verbundenen enormen Gesundheitsrisiken für die Behandelten, die sich eben nicht in den Griff bekommen ließen.“ Anders gesagt: Abnehmpillen sind mit ihren zum Teil gravierenden Eingriffen in den menschlichen Stoffwechsel extrem gefährlich – und aus diesem Grund „ist es unwahrscheinlich, dass sie überhaupt jemals zugelassen werden“.

Karl Lauterbach
„Das Nicht-Wissen bei Ärzten und Apothekern schockiert mich immer wieder. Ergebnisse aus der Wissenschaft kommen oft erst mit jahrelanger Verspätung bei den Praktikern an.“ KARL LAUTERBACH , POLITIKER UND PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT KÖLN

 

WIE ERFINDET MAN EINE KRANKHEIT?

 

Es ist eine Volkskrankheit – und sie kam auch für Mediziner völlig unerwartet aus dem Nichts. Geschätzte vier bis sieben Millionen Deutsche leiden mittlerweile an den Folgen einer Gluten-Unverträglichkeit. Ärzte diagnostizieren sie fortlaufend – doch verschweigen sie ihren Patienten dabei oft das Wichtigste: Es gibt keinen Beweis für die Existenz einer solchen Intoleranz. Diagnosen sind bislang nur indirekt möglich. Frei nach dem Motto: Können andere Unverträglichkeiten ausgeschlossen werden, muss es Gluten sein. Und weil sich Ärzte aus diesem Grund gar nicht so sicher sind, ob dieses Leiden wirklich existiert, gilt die Gluten-Intoleranz im Gegensatz zur echten Zoliakie – einer chronischen Entzündung der Dünndarmschleimhaut mit Symptomen wie Knochenschmerzen oder Blutarmut – offiziell als sogenannte Disease Mongering oder Krankheitserfindung. Forscher gehen sogar davon aus, das nur jeder 20. Gluten-Gepeinigte wirklich an einer ecMen Unverträglichkeit leidet Gewinner dieser Entwicklung: die Lebensmittelindustrie – die dafür eine ganze Ernährungssparte in die Welt gesetzt hat. Doch das ist noch nicht alles.

Auch jenseits von verhältnismäßig harmlosen Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten wird die Liste erfundener, vermeintlicher Krankheiten immer länger. Ein Beispiel: das sogenannte Sissi-Syndrom, eine angebliche Form der Depression. Zum scheinbaren Krankheitsbild zählen Rastlosigkeit, Sprunghaftigkeit, Hyperaktivität, Stimmungsschwankungen und Selbstwertprobleme. Der Medizin- und Wissenschaftsautor Jörg Blech fand heraus, dass die Krankheit nicht etwa in Arztpraxen entdeckt, sondern in der Marketingabteilung eines Pharmaunternehmens erfunden wurde – und zwar um das passende Leiden zu einer bereits entwickelten Pille zu konstruieren, so Blech. Doch wieso eigentlich dieser ganze Aufwand?

Aus Sicht der Pharmaindustrie werden normalerweise die falschen Menschen krank – namlich die armen und alten, mit nur noch kurzer Lebenserwartung“, erklärt Prof. Karl Lauterbach. Deswegen habe es für viele Pharmariesen in den vergangenen Jahren im Vordergrund gestanden, Krankheiten wieder zu den Zahlungsfähigen zu tragen – und das gelange nun mal am einfachsten mit Erkrankungen, die man für die entsprechende Zielgruppe direkt designt. „Ärzte sind in diesem System die Erfüllungsgehilfen der Industrie“, erklärt Blech. Denn kostenpflichtige Beratungen oder bei den Versicherungen nicht erstattungsfähige IGeL-Leistungen sind für praktizierende Ärzte vor allem eines: ein lukrativer Markt. „Wer die Leute nach Hause schickt, kann daran nichts verdienen“, sagt Blech.

DIE FALSCHE DEPRESSION

Manche Krankheiten müssen gar nicht erfunden werden. Es genügt, Grenzwerte herabzusetzen oder die Krankheitsbilder neu zu definieren. Die Kriterien einer Depression beispielsweise waren vor 20 Jahren erheblich strenger. Gemäß dem Klassifikationssystem der Psychiatrie, dem Diagnostic and Statistical Ma­nual of Mental Disorders IV, darf nun bereits zwei Wochen nach einem Trauerfall eine Diagnose erstellt werden. Bislang lag diese Sperrfrist bei zwei Monaten und zuvor bei einem Jahr, da bei Trauernden sehr ähnliche Symptome auftreten wie bei depressiven Menschen. Die Folge: Menschen, die eigentlich nur Zeit brauchten, um sich aus eigener Kraft zu erholen, werden womöglich vorschnell zu Patienten erklärt und behandelt.

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